»Meine Spezialität ist
das Besondere.«

Juli Gudehus

Graphismus

Es gibt eine wah­re Geschich­te, die man sich von dem berühm­ten deut­schen Gestal­ter Otl Aicher erzählt: Zu einer drin­gen­den Bespre­chung rief er, als er ein­mal krank war, einen sei­ner Mit­ar­bei­ter zu sich ans Bett. Aichers Schlaf­an­zug und sei­ne Bett­wä­sche waren aus dem­sel­ben Stoff – bedruckt mit einem schwarz­wei­ßen Schach­brett­mus­ter. Sein Mit­ar­bei­ter bemerk­te, wie Aicher wäh­rend des Gesprächs der Ver­su­chung nicht wider­ste­hen konn­te, die Qua­dra­te auf sei­nem Pyja­ma mit denen auf der Decke zur Deckung zu bringen.

Die­se Anek­do­te amü­sier­te mich zuerst, und ich fühl­te mich auch ein biss­chen ertappt. Als ich sie wei­ter­erzähl­te, muss­te ich fest­stel­len, dass nicht nur Aicher und ich sol­che Spleens haben. Offen­bar han­delt es sich um eine unter Gra­fik-Desi­gnern häu­fig auf­tre­ten­de Berufs­krank­heit: Gra­phis­mus. Sie ist zwar nicht mit Schmer­zen ver­bun­den, kann jedoch im fort­ge­schrit­te­nen Sta­di­um sozia­le Aus­gren­zung nach sich zie­hen. Ich war ernst­haft schockiert.

Die Sym­pto­me tre­ten ein­zeln oder in Kom­bi­na­ti­on auf: das zwang­haf­te Bedürf­nis, die eige­ne Kör­per­hal­tung zu ver­än­dern, um Flä­chen oder Lini­en über­ein­an­der zubrin­gen. Oder Din­ge zu zen­trie­ren, zum Bei­spiel Bier­glä­ser genau in der Mit­te des Bier­de­ckels zu posi­tio­nie­ren. Oder der unwill­kür­li­che Griff Apfel‑Z, um Gesche­he­nes unge­sche­hen zu machen, etwa eine Hoch­steck­fri­sur, die beim fünf­ten Mal noch schlech­ter gelun­gen ist als beim drit­ten Mal. Oder der Drang (gedank­lich) zu retu­schie­ren, zum Bei­spiel einen Fleck an der Wand (mit Stem­pel­funk­ti­on) zu ent­fer­nen oder unhar­mo­ni­sche Kom­bi­na­tio­nen, wie ein trü­bes Blau des Mee­res und ein kla­res Blau des Him­mels, ein­an­der farb­lich anzu­glei­chen. Oder der Zwang, schief hän­gen­de Bil­der gera­de zu rücken und so weiter.

Ursa­chen und Sym­pto­me des Gra­phis­mus sind zwar noch nicht voll­stän­dig erforscht, die Krank­heit kann jedoch in den meis­ten Fäl­len erfolg­reich mit einer Gestalt­the­ra­pie behan­delt wer­den. Fra­gen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!