Sich miteinander verständigen zu können, ohne dieselbe Sprache zu sprechen? Ein Menschheitstraum!
Vielleicht rein visuell? Unabhängig von gesprochenen Sprachen? Warum nicht anhand unserer zeitgenössischen Hieroglyphen: Piktogramme, Logos, Icons und Symbole? In Aneinanderreihung ließen sich mit solchen Kurzbotschaften längere Botschaften kommunizieren. Auf diese Idee kam ich als Studentin und übersetzte die Schöpfungsgeschichte. Mittlerweile weiß ich, dass außer mir weitere Leute diese Idee hatten. Unabhängig voneinander. In verschiedenen Ländern und Zeiten.
Alle frühen Kulturen kommunizierten mittels aneinandergereihter Bildzeichen. Von diesen dürften die ägyptischen Hieroglyphen am bekanntesten sein. Wer hätte gedacht, dass es unzählige Generationen später neue Ansätze dazu geben könnte? Seit Beginn des 20. Jahrhunderts nimmt ihre Zahl zu. Diese Idee will offenbar laufen lernen und die Welt sehen!
Von Einzelpersonen entwickelte (piktographische) Universalsprachen blieben bislang jedoch erfolglos, weil der Anreiz, sie zu lernen und zu benutzen zu gering war
Dennoch.
Eine international verständliche, visuelle Sprache wird heute im Sinne von Völkerverständigung vielleicht dringender gebraucht denn je. Während um uns herum alles zunehmend in Bewegung ist, sind wir ziemlich sprachlos. Unsicherheit dominiert Menschen, Unternehmen, Institutionen und Regierungen. Gräben zwischen Menschen, Kulturen und Nationen vertiefen sich. Eine solche Zeit des Umbruchs, meine ich, ist eine gute Zeit für neue Ideen.
Die Zeit dafür scheint überreif, denn inzwischen sind die Umstände dafür günstiger denn je. Nicht nur brachten Computer, Smartphones und Internet eine Flut von Zeichen mit sich. Sie machen es erstmals möglich, Zeichen nicht nur selbst zu zeichnen, sondern auch auszuwählen und zu »übersetzen«. Die weltweite Vernetzung unübersehbar vieler Menschen erlaubt zudem auf nie dagewesen einfache Weise in kurzer Zeit viele, unterschiedlichste Intelligenzen zu mobilisieren. Eine – derzeit an Fahrt aufnehmende – Form: künstliche Intelligenz.
Also, vielleicht gibt es einen Weg.
Warum nicht Schwarmintelligenz als Turbolader einer visuellen Weltsprache einsetzen? Alle lebenden Sprachen sind ja das Werk vieler. Je mehr eine Sprache benutzt und bereichert wird, desto verständlicher und lebendiger wird sie.
Darum meine Idee, Menschen aus den verschiedensten Soziotopen, Branchen, Generationen, Sprachen und Kulturen als Entwerferinnen und Tester einzuladen. Alle, die einen Stift halten können, können mitmachen. Alle Teilnehmenden wären Expert*innen – für ihren eigenen Erfahrungshorizont und Kommunikationsstil. Aus der Fülle könnten die geeignetsten »visuellen Vokabeln« und eine »Piktogrammatik« sich nach und nach herauskristallisieren. Ich stelle mir das als organischen Prozess mit offenem Ausgang vor.
Mit meinem »Icon spell« Projekt will ich Popkultur unserer Zeit mit immateriellem Kulturerbe zusammenbringen. Da jede Kultur ihre eigenen Bildzeichen hat, können deren Vergleich und Diskussion helfen, ein Bewusstsein für Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu schärfen. Es könnte dazu beitragen, Gräben zu überbrücken. Mit der Zeit könnte das Icon spell Projekt durch sämtliche Weltgegenden wandern bis es zum Selbstläufer und selbstlernenden System wird.
Aber kann das funktionieren?
Experimente wären keine, wenn sich ihre Ergebnisse vorhersagen ließen. Also, warum es nicht versuchen und schauen, was passiert? Ich meine, Bildzeichen-Kommunikation hat nicht nur eine lange Geschichte, sondern möglicherweise auch in Zukunft viel vor.
Vielleicht mehr noch als in deren Anwendung läge die Relevanz meines Projekts in dem damit einhergehenden Austausch. Dieser kann gegenseitiges Verständnis und unverhofft Verbindungen fördern. Eine Chance, Demokratie zu stärken und letztlich Frieden zu stiften
Ein Anfang ist gemacht.
In einigen Workshops ließ ich bereits Studierende Begriffe und Texte in Zeichen übersetzen, zuletzt an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd im internationalen Master mit Studierenden aus Mexiko, der Ukraine und Korea. In meinen Ausstellungen im Museum für Gestaltung Zürich und im Museum für Druckkunst Leipzig lud ich Besucher*innen ein, meine Bildzeichen-Übersetzung der »Genesis« in Form eines Riesenpuzzles auf 30 m² gedanklich nachzuvollziehen und eigene Zeichen zu abstrakten Begriffen wie »morgen« oder »nur« zu entwerfen. Die Ergebnisse wurden an einer »Rosetta Board« betitelten Pinwand gezeigt.
Im Sommersemester arbeite ich derzeit an der ecosign Akademie in Köln erstmalig mit Studierenden an visuellem Vokabular und einer Piktogrammatik. Neun von ihnen gaben im April mit mir und Karel van der Waarde (Brüssel) zusammen den allerersten Icon spell Workshop beim New European Bauhaus Festival im Musée Art et Histoire in Brüssel. Menschen aller Alter aus 26 Ländern und verschiedenster Berufe arbeiteten an visuellen Übersetzungen ausgewählter Begriffe und Sätze. Immer wieder brandeten Gespräche auf. Es machte allen Beteiligten sichtlich Spaß. Ein fulminanter Projektstart!
In einem Wasserschloss bei Meißen bin ich mit diesem Workshop im Mai auf der Interdisziplinären Pfingsttagung zu Gast. Ihr diesjähriges Thema ist »Was wäre, wenn«.
Mit Luisella Ströbele und ihrem Label icke, Berlin kooperierte ich schon mehrfach. Diesmal sind Besucher*innen von 48 Stunden Neukölln am 29. Juni eingeladen, Zeichen und Zeichen-Sätze zum Thema »Stille« zu entwerfen. Ihre Botschaften können sie vor Ort auf T‑Shirts übertragen und sich damit fotografisch dokumentieren lassen.
Im September trage ich bei der Konferenz der Symbol Group über meine Vision vor. An den zwei Tagen wird es um »Icons for Society: Past, Present and Future« gehen. Gastgeberin ist die British Academy. Im November halte ich diesen Vortrag auf Deutsch bei der Typographischen Gesellschaft München.
Im Dezember bin ich mit diesem Vortrag ins Reich der Zeichen eingeladen. Die Dōshisha joshi daigaku, eine Kunsthochschule in Kyoto, veranstaltet eine Konferenz zu Klimawandel und Kommunikation. Im Zuge dessen gebe ich begleitend einen weiteren Icon spell Workshop. Zudem werden meine Arbeiten zu, mit und aus Zeichen ausgestellt.
Für eine erste Icon spell Ausstellung+Experiment 2026 konnte ich das Deutsche Museum in München gewinnen. Zudem haben bereits einige Goethe Institute in den USA, Mexiko und Kanada ihr Interesse an einer Teilnahme am Icon spell Projekt bekundet, vorneweg das in San Francisco. Seit Corona und Ukraine-Krieg sind deren finanzielle Mittel jedoch drastisch reduziert. Entsprechend stellen wir derzeit entsprechende Förderanträge.
Solltest Du Ideen, Vorschläge, Rat oder Unterstützung für mein Projekt und mich haben, solltest Du Lust haben mitzuwirken, freue ich mich auf Deine Mail!