Unbegreifliche, nahbare, kapriziöse, bodenständige Schönheit, hässlich wie eine Unke. Sprache ist mir eine zweite Mutter, ist uralt, blutjung und höchst lebendig.
Sprache ist mir ein Zuhause, ich fühle mich geborgen in ihr. Als Kind zog ich mehrfach um und das machte mich dafür hellhörig, dass es verschiedene Wörter für das gleiche gibt und dass sich mit ein und demselben Wort sehr Verschiedenes sagen lässt. Sprache ist eine glitschige Eisfläche, auf der sich Eishockey spielen und Rumba tanzen lässt.
Sprache ist mir ein Wunderland, in dem es noch unendlich viel zu entdecken gibt. In diesem Habitat bin ich ein Chamäleon. Leicht schnappe ich Dialekte, Ausdrücke und Ausdrucksweisen auf. In fremden Sprachräumen macht es mir Freude, möglichst bald einige Wörter zu lernen, damit ich mit Einheimischen Kontakt aufnehmen kann. Danke, guten Tag, schön. So manche Bücher und so manche Menschen haben meine Sprache bereichert. Ich genieße meinen Reichtum. Und ich bin mir dessen bewusst, was für einen großer Sprachschatz mir bereits in die Wiege gelegt wurde. Fröhliches Spiel mit Sprache, Genauigkeit bis hin zur Pedanterie, Witz, Zwischentöne und Neuschöpfungen – damit bin ich aufgewachsen und bin meiner Familie dankbar dafür.
Außer meiner Muttersprache – in der ich oft die Sprache meiner Mutter wiedererkenne – spreche ich fließend Englisch und kann ich mich auf Französisch und Italienisch verständigen. Ich kann mich als Rheinländerin, Schwäbin und Norddeutsche ausgeben. Und nicht von ungefähr bin ich mit jemandem verheiratet, der mehrere Programmiersprachen beherrscht: Ruby, Logo, Fortran, Java …
Sprache ist wie Mörtel, schafft zwischenmenschliche Verbindungen. Sprache ist ein Echolot, das mir ermöglicht, mich in der Haltung und Weltwahrnehmung meines Gegenübers zurechtzufinden. Sprache ist Zeitmaschine und Transportmittel: für Zartes, für Sperrgut, für Hochexplosives und für Schwerlasten. Eine Vorstellung eines Lebens in Sprachlosigkeit vermittelte mir in den 90er Jahren eine längere Reise durch Japan. Ich konnte nichts lesen, nichts verstehen und wenig mehr sagen als arigato. Ich fühlte mich wie ein Vogel ohne Flügel.
All diese unterschiedlichen Gleichnisse zeigen, wie bildhaft Sprache sein kann. Das bereitet mir immer wieder größtes Vergnügen. Dass sich mittels Sprache Abstraktes visualisieren, begreifen und ausdrücken lässt, ist für mich nichts anderes als ein Wunder. Umgekehrt spricht auch das Sichtbare zu uns und auch in dieser Sprache bin ich rhetorisch geschult.
Ich bringe zur Sprache und die Sprache bringt zu mir. So manches Mal war sie geduldige und erprobte Geburtshelferin meiner Gedanken und Gefühle. Ich sprach oder schrieb und währenddessen enstanden Erkenntnisse und Ideen. Sprache ist mein Assoziations-Blaster. Über phonetische Ähnlichkeiten und Doppeldeutigkeiten komme ich auf neue Gedanken und vom Hundertsten ins Tausendste. Meine Arbeit lebt von der Sprache und basiert auf Sprache.