»Meine Spezialität ist
das Besondere.«

Juli Gudehus

Sprache

Unbe­greif­li­che, nah­ba­re, kapri­ziö­se, boden­stän­di­ge Schön­heit, häss­lich wie eine Unke. Spra­che ist mir eine zwei­te Mut­ter, ist uralt, blut­jung und höchst lebendig. 

Spra­che ist mir ein Zuhau­se, ich füh­le mich gebor­gen in ihr. Als Kind zog ich mehr­fach um und das mach­te mich dafür hell­hö­rig, dass es ver­schie­de­ne Wör­ter für das glei­che gibt und dass sich mit ein und dem­sel­ben Wort sehr Ver­schie­de­nes sagen lässt. Spra­che ist eine glit­schi­ge Eis­flä­che, auf der sich Eis­ho­ckey spie­len und Rum­ba tan­zen lässt. 

Spra­che ist mir ein Wun­der­land, in dem es noch unend­lich viel zu ent­de­cken gibt. In die­sem Habi­tat bin ich ein Cha­mä­le­on. Leicht schnap­pe ich Dia­lek­te, Aus­drü­cke und Aus­drucks­wei­sen auf. In frem­den Sprach­räu­men macht es mir Freu­de, mög­lichst bald eini­ge Wör­ter zu ler­nen, damit ich mit Ein­hei­mi­schen Kon­takt auf­neh­men kann. Dan­ke, guten Tag, schön. So man­che Bücher und so man­che Men­schen haben mei­ne Spra­che berei­chert. Ich genie­ße mei­nen Reich­tum. Und ich bin mir des­sen bewusst, was für einen gro­ßer Sprach­schatz mir bereits in die Wie­ge gelegt wur­de. Fröh­li­ches Spiel mit Spra­che, Genau­ig­keit bis hin zur Pedan­te­rie, Witz, Zwi­schen­tö­ne und Neu­schöp­fun­gen – damit bin ich auf­ge­wach­sen und bin mei­ner Fami­lie dank­bar dafür. 

Außer mei­ner Mut­ter­spra­che – in der ich oft die Spra­che mei­ner Mut­ter wie­der­erken­ne – spre­che ich flie­ßend Eng­lisch und kann ich mich auf Fran­zö­sisch und Ita­lie­nisch ver­stän­di­gen. Ich kann mich als Rhein­län­de­rin, Schwä­bin und Nord­deut­sche aus­ge­ben. Und nicht von unge­fähr bin ich mit jeman­dem ver­hei­ra­tet, der meh­re­re Pro­gram­mier­spra­chen beherrscht: Ruby, Logo, For­tran, Java … 

Spra­che ist wie Mör­tel, schafft zwi­schen­mensch­li­che Ver­bin­dun­gen. Spra­che ist ein Echo­lot, das mir ermög­licht, mich in der Hal­tung und Welt­wahr­neh­mung mei­nes Gegen­übers zurecht­zu­fin­den. Spra­che ist Zeit­ma­schi­ne und Trans­port­mit­tel: für Zar­tes, für Sperr­gut, für Hoch­ex­plo­si­ves und für Schwer­las­ten. Eine Vor­stel­lung eines Lebens in Sprach­lo­sig­keit ver­mit­tel­te mir in den 90er Jah­ren eine län­ge­re Rei­se durch Japan. Ich konn­te nichts lesen, nichts ver­ste­hen und wenig mehr sagen als ari­ga­to. Ich fühl­te mich wie ein Vogel ohne Flügel.

All die­se unter­schied­li­chen Gleich­nis­se zei­gen, wie bild­haft Spra­che sein kann. Das berei­tet mir immer wie­der größ­tes Ver­gnü­gen. Dass sich mit­tels Spra­che Abs­trak­tes visua­li­sie­ren, begrei­fen und aus­drü­cken lässt, ist für mich nichts ande­res als ein Wun­der. Umge­kehrt spricht auch das Sicht­ba­re zu uns und auch in die­ser Spra­che bin ich rhe­to­risch geschult. 

Ich brin­ge zur Spra­che und die Spra­che bringt zu mir. So man­ches Mal war sie gedul­di­ge und erprob­te Geburts­hel­fe­rin mei­ner Gedan­ken und Gefüh­le. Ich sprach oder schrieb und wäh­rend­des­sen enstan­den Erkennt­nis­se und Ideen. Spra­che ist mein Asso­zia­ti­ons-Blas­ter. Über pho­ne­ti­sche Ähn­lich­kei­ten und Dop­pel­deu­tig­kei­ten kom­me ich auf neue Gedan­ken und vom Hun­derts­ten ins Tau­sends­te. Mei­ne Arbeit lebt von der Spra­che und basiert auf Sprache.